Die beiden aus dem e-learning-Projekt ad fontes der Universität Zürich hervorgegangenen Cds sind nach dem gleichen Konzept aufgebaut und gestaltet (Konzeption und Produktion: Kränzle & Ritter, Zürich; Gestaltung und Screendesign: Yves Sablonier, Zürich). Sie bieten für interessierte Laien, für Lokalhistoriker wie für Studierende der Geschichte didaktisch geschickt aufbereitete Einführungen und Lernmaterialien, die «Lust aufs Archiv» entstehen lassen und die es nicht zuletzt auch einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren gälte, um zu zeigen, wie wichtig die historischen Bestände und der wissenschaftliche Auftrag der Archive sind. Während die ältere, 2006 herausgebrachte CD als Materialien für paläographische Leseübungen «Dokumente des 13. bis 20. Jahrhunderts» bietet, konzentriert sich die CD von 2010 auf das Thema «Medizinische Fürsorge in der Stadt St. Gallen». Wer sich einmal auf den virtuellen Besuch des Ortsbürgerarchivs der Stadt St. Gallen eingelassen hat, wird in einem Archiv einigermassen kompetent mit Materialien umgehen können.
Im Zentrum der hier näher zu erläuternden CD «Medizinisches Fürsorgewesen» stehen die paläographischen Übungen, die anhand der Abbildungen der Originalhandschriften durchgeführt werden können, sie sind so programmiert, dass der/die Übende seine Transkription in einem eigenen Textfeld niederschreiben und laufend überprüfen lassen kann. Den transkribierten Text, der auf der CD geliefert wird, begleiten ein knapper Kommentar, Transkriptionshilfen und Worterklärungen. Zu jeder der 19 Quellen sind Literaturangaben abrufbar. Unter dem Menü Hintergrund findet sich ein Überblickskapitel zur Geschichte der Stadt St. Gallen und des Fürsorgewesens. Die im Zeitraum zwischen 1228 und 1764 entstandenen Textbeispiele beleuchten die Geschichte, die Organisation und die Lebensverhältnisse in den Häusern, in denen zumeist arme oder kranke Insassen lebten. Die fünf St. Galler Fürsorgeinstitutionen sind das im 13. Jahrhundert gegründete Heilig-Geistspital, in dem um 1690 rund 250 Insassen lebten, das 1575 bei der Linsenbühlkirche erbaute Prestenhaus für Schwerkranke, das vor 1219 gegründete Siechenhaus und das für die Aufnahme von Fremden, Pilgern und Reisenden bestimmte Seelhaus in der Spiservorstadt. Die 19 Lesebeispiele (im Menü Übungen) wurden so ausgewählt, dass sie die drei Bereiche Alltag, Organisation und Finanzierung beleuchten. Wer sich gleichsam spielend Paläographie-Kenntnisse erwerben will, lernt dabei auch die Grundzüge des städtischen Hospitalwesens, seiner Organisation und Wirtschaft kennen. Auf der CD werden hilfswissenschaftlich-technische Lernübungen mit sozialgeschichtlichem Unterricht verbunden, sodass die Arbeit des Transkribierens nicht eintönig wird.
Den Reiz der einzelnen Kapitel machen insbesondere die Reproduktionen ikonographischer Quellen wie der Stadtveduten und -pläne aus, die in der heutigen Geschichtswissenschaft als gleichwertige Zeugnisse neben die Texte gestellt werden. Insofern, als sich das Medium der CD (schon aus Kostengründen) einfacher als gedruckte Medien für die Reproduktion von Bildern eignet, hätte man sich auf der CD in einem eigenen Kapitel auch eine Würdigung der Bilder gewünscht. Quellenkritische Kommentare zum Bildtyp und zum Verhältnis von Bild und textlicher Überlieferung wären lehrreich. Doch hier ist vielleicht für das AutorInnenteam schon ein Arbeitsprogramm und der Inhalt einer weiteren St. Galler CD skizziert …
Zitierweise:
Dorothee Rippmann: Rezension zu: Dorothee Guggenheimer, Stefan Sonderegger: Dokumente des 13. bis 20. Jahrhunderts aus dem Stadtarchiv St. Gallen. Interaktive Leseübungen und Kommentare (Edition ad fontes: Quellen aus Archiven und Bibliotheken, hg. von Andreas Kränzle und Gerold Ritter). CD-ROM (Win/Mac). Zürich, Chronos Verlag, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 4, 2010, S. 500-501.